Bereitgestellt: 01.12.2024
Monatsgedanke Dezember 2024
Ein freier Stuhl
Neulich äusserte ich mich in einer Runde abfällig über den aus Amerika importierten Brauch von Halloween. «Sinnentlehrter Konsumzirkus», meinte ich. Worauf die Frau neben mir entgegnete: «Als ich im Oktober in Frankfurt war und die Weihnachtsbeleuchtung an den Geschäften sah, da löschte es mir auch ab». Dass Weihnachten wenigstens noch einen Sinngehalt hätte, würde man ihn hinter dem Geschenkberg hervorkramen, vermochte sie nicht zu überzeugen. Sie ist nicht alleine damit:
herti zimmetstärne
z’grossi socke
i bi es halbs jahr bliebe hocke
oh tanneboum oh tanneboum
wie viel schnee muess uf mi gheie
wieviel zäpfe a mir hange
dass i nümm mues länger warte
unter dere nordmanntanne
Endo Anaconda singt diese Worte in einem Lied von Stiller Haas. Er fasst in gewohnt unzimperlicher Manier zusammen, was, wie die eingangs erwähnte Frau, nicht wenige verspüren – eine Abneigung gegen das traditionelle Weihnachtsfest.
Ich kann es ihnen nicht verdenken, auch wenn ich selber mich auf Weihnachten freue. Im 18. und 19. Jahrhundert rückte die bürgerliche Kleinfamilie zusehends ins Zentrum weihnachtlichen Feierns. Das ist bis heute so geblieben, und mit zunehmendem Wohlstand wurde auch der Weihnachtskommerz grösser und grösser. Wenn da jemand mit der Familie im Clinch liegt, gutbürgerliche Rollenmodelle ablehnt oder Konsumkritik übt, gibt es gute Gründe, auch diese Form des Weihnachtsfestes zu hinterfragen.
Seit bald zwanzig Jahren feiern wir mit der Kirchgemeinde Rapperswil Heiligabend im Kirchgemeindehaus. In dieser Zeit war mancher Gast in unserer Runde, der gerade nicht in der Familie feiern konnte oder wollte. Da war die frisch getrennte Frau, der frisch verwitwete Mann. Da waren Alleinstehende, Paare, aber auch ganze Familien, die es genossen, dass an Heiligabend Gemeinschaft in bunter Runde möglich wurde. Wir feiern den Geburtstag von Jesus aus Nazareth, und wie das bei Geburtstagen üblich ist, geht es fröhlich zu und her.
Dieses Jahr werden wir ein Gedeck mehr auflegen, eines für einen zusätzlichen Gast. Wir nehmen damit einen jüdischen Brauch auf. Stephanie Brall beschreibt ihn mit folgenden Worten:
Ein alter Brauch lädt ein, an Heiligabend mindestens einen Platz in der Runde frei zu halten. Falls noch jemand dazukommt. Nicht dass die Herberge dann schon voll ist. Und als Erinnerung: Jemand ist mit uns. Menschen sind mit uns, die eine Schulter zum Anlehnen haben. Oder eine brauchen. Einen Arm zum Hineinlegen, oder eine Krippe, wie damals das Christkind. Immanuel wurde es genannt. Jemand ist mit uns, erzählt uns der Name. Manche sagen dazu Gott. Manche Liebe. Frieden. Weg. Morgenstern. Ewige. Lamm. Löwe. Wunderrat. Heiland. Grosses Geheimnis. Ohne Obdach. Bruder. Schwester. Du. Wer auch immer du sein magst, ich halte dir einen Platz frei, hier bei mir, willkommen.
Wie auch immer Sie Weihnachten feiern oder auch nicht – ich wünsche Ihnen, dass etwas vom Frieden, den das Geburtstagskind uns verheissen hat, bei Ihnen aufleuchtet. Und wer weiss, vielleicht nimmt ja unerwartet auch bei Ihnen ein zusätzlicher Gast Platz …
Pfarrerin Lilian Fankhauser, Rapperswil
herti zimmetstärne
z’grossi socke
i bi es halbs jahr bliebe hocke
oh tanneboum oh tanneboum
wie viel schnee muess uf mi gheie
wieviel zäpfe a mir hange
dass i nümm mues länger warte
unter dere nordmanntanne
Endo Anaconda singt diese Worte in einem Lied von Stiller Haas. Er fasst in gewohnt unzimperlicher Manier zusammen, was, wie die eingangs erwähnte Frau, nicht wenige verspüren – eine Abneigung gegen das traditionelle Weihnachtsfest.
Ich kann es ihnen nicht verdenken, auch wenn ich selber mich auf Weihnachten freue. Im 18. und 19. Jahrhundert rückte die bürgerliche Kleinfamilie zusehends ins Zentrum weihnachtlichen Feierns. Das ist bis heute so geblieben, und mit zunehmendem Wohlstand wurde auch der Weihnachtskommerz grösser und grösser. Wenn da jemand mit der Familie im Clinch liegt, gutbürgerliche Rollenmodelle ablehnt oder Konsumkritik übt, gibt es gute Gründe, auch diese Form des Weihnachtsfestes zu hinterfragen.
Seit bald zwanzig Jahren feiern wir mit der Kirchgemeinde Rapperswil Heiligabend im Kirchgemeindehaus. In dieser Zeit war mancher Gast in unserer Runde, der gerade nicht in der Familie feiern konnte oder wollte. Da war die frisch getrennte Frau, der frisch verwitwete Mann. Da waren Alleinstehende, Paare, aber auch ganze Familien, die es genossen, dass an Heiligabend Gemeinschaft in bunter Runde möglich wurde. Wir feiern den Geburtstag von Jesus aus Nazareth, und wie das bei Geburtstagen üblich ist, geht es fröhlich zu und her.
Dieses Jahr werden wir ein Gedeck mehr auflegen, eines für einen zusätzlichen Gast. Wir nehmen damit einen jüdischen Brauch auf. Stephanie Brall beschreibt ihn mit folgenden Worten:
Ein alter Brauch lädt ein, an Heiligabend mindestens einen Platz in der Runde frei zu halten. Falls noch jemand dazukommt. Nicht dass die Herberge dann schon voll ist. Und als Erinnerung: Jemand ist mit uns. Menschen sind mit uns, die eine Schulter zum Anlehnen haben. Oder eine brauchen. Einen Arm zum Hineinlegen, oder eine Krippe, wie damals das Christkind. Immanuel wurde es genannt. Jemand ist mit uns, erzählt uns der Name. Manche sagen dazu Gott. Manche Liebe. Frieden. Weg. Morgenstern. Ewige. Lamm. Löwe. Wunderrat. Heiland. Grosses Geheimnis. Ohne Obdach. Bruder. Schwester. Du. Wer auch immer du sein magst, ich halte dir einen Platz frei, hier bei mir, willkommen.
Wie auch immer Sie Weihnachten feiern oder auch nicht – ich wünsche Ihnen, dass etwas vom Frieden, den das Geburtstagskind uns verheissen hat, bei Ihnen aufleuchtet. Und wer weiss, vielleicht nimmt ja unerwartet auch bei Ihnen ein zusätzlicher Gast Platz …
Pfarrerin Lilian Fankhauser, Rapperswil